Ein kritischer und sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisender Artikel zum Thema Lebensmittelunverträglichkeiten in der Zeit Online:
Lebensmittelunverträglichkeiten: Bauchgrimmen | ZEIT ONLINE.
Nicht falsch verstehen – wer wirklich betroffen ist, darf sich durch diesen Artikel nicht angegriffen fühlen, im Gegenteil. Aber der Artikel beinhaltet durchaus ein paar Punkte, gerade im Hinblick auf die Vermarktung, die zutreffend sind.
Meiner Meinung nach ist der derzeitige Hype ähnlich, wie vor ein paar Jahren mit der schon als Modekrankheit zu bezeichnenden Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung) bei Kindern. Da wurde gerne mal das Wort ADHS in den Raum geworfen, wenn Kind mal nicht so parierte, wie es den Eltern passte. Anstatt sich vielleicht mal Gedanken darum zu machen, dass das Problem ja ganz eventuell auch bei den Eltern und ihrer Art des Umgangs mit dem Kind liegen könne, wurde der Einfachheit halber mal auf ADHS getippt. Zumindest kam es mir manchmal so vor. Mittlerweile ist es um das Thema wenigstens etwas ruhiger geworden, was es für die tatsächlich Betroffenen natürlich auch nicht einfacher macht.
Strategien im Supermarkt
Was der Artikel der Zeit schön herausstellt ist der Marketingaspekt der Kennzeichnung „laktosefrei“ oder „glutenfrei“ und die damit erhoffte Umsatzsteigerung. Beispielhaft der nachfolgende Absatz:
Allein die Verpackungsaufschriften lassen Laktose und Gluten als schädliche Zusätze erscheinen, dabei sind sie bloß ein natürlicher und ursprünglicher Bestandteil von Lebensmitteln. Die Supermarktkette Rewe hat sogar die Marke „frei von“ eingeführt: Da heißt es, laktose- oder glutenfreie Produkte seien für „Ernährungssensible“ geeignet. Selbst deren Platzierung im Supermarkt ist Teil der Marketingstrategie: Meist stehen sie in der Nähe der Bioprodukte – das suggeriert gesunde Qualität. Dass sie deutlich teurer sind als konventionelle Ware, fällt in solcher Nachbarschaft praktischerweise auch nicht auf.
Die Kennzeichnung bei Rewe ist mir übrigens neulich auch aufgefallen – am Kühlregal. Allerdings ist das dermaßen klein geschrieben, dass ich zweimal hinsehen musste, um zu erkennen, was die Symbole denn nun bedeuteten sollten. (Ältere) Menschen mit Sehschwäche scheinen daher nicht unbedingt zur von Lebensmittelunverträglichkeiten geplagten Spezies zu gehören.
Was ich relativ lange nicht wusste (weil es mich nicht betrifft, da ich nicht laktoseintolerant bin): Käse enthält kaum Laktose. Zumindest bei den gebräuchlichsten Sorten, die man im Kühlregal greifen kann, liegt der Gehalt meist unter der Schwelle zur Bezeichnung „laktosefrei“. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich vor einiger Zeit bestimmt 15 Minuten am Kühlregal damit verbracht habe, dass ich vergeblich einen Käse gesucht habe, der eben nicht als „laktosefrei“ gekennzeichnet ist. Es sind zwar (noch) nicht alle Hersteller auf den Zug aufgesprungen, das groß und breit auf die Vorderseite der Verpackung zu schreiben, aber bei den Inhaltsstoffen findet sich dann in der Regel doch ein Hinweis auf die Laktosefreiheit. Ich glaube, aus lauter Verzweiflung habe ich dann letztendlich doch einen als laktosefrei gekennzeichneten gekauft.
Anders geschmeckt hat er deswegen nicht…
Lebensmittelunverträglichkeiten – also alles nur Marketing?
Sicherlich nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teil. Dass es Lebensmittelunverträglichkeiten gibt ist ja unbestritten, nur eben nicht in dem Umfang, wie es uns das Umfeld im Moment versucht zu suggerieren. Wirklich betroffene Menschen werden es zu schätzen wissen, auf den ersten Blick zu erkennen, ob sie ein Produkt bedenkenlos kaufen können oder nicht. Ob man die Bezeichnungen und die Kennzeichnungen deshalb zu einem hippen Lifestyle hochstilisieren muss – eher nicht, ich halte das für überflüssig. Als Betroffener würde es mich ärgern, wenn Produkte plötzlich teurer wären als zuvor, nur weil es „hip“ ist, sich aus Stilgründen so zu ernähren, wie ich ohnehin gezwungen bin, es zu tun.
Als Nichtbetroffener und nicht am Lifestyle oder Trends irgendwelcher Promis interessierte Person finde ich den inflationären Gebrauch der Bezeichnungen auf den Verpackungen eher lästig (da erhöhte Preise) bis gar nicht beachtenswert (weil kein Effekt). Von daher bin ich mir nicht sicher, ob ein Marketingerfolg durch die Vermarktung der Vermeidung Lebensmittelunverträglichkeiten auslösender Inhaltsstoffe von längerfristigem Erfolg gekrönt sein wird. Aber ich bin mir fast sicher, es wird einen neuen Trend und neue Möglichkeiten geben, um andere Dinge in einen ähnlichen Status zu erheben. Hat man nach ADHS ja auch hinbekommen…